Mittwoch, 10 Juni 2015 18:09

Der Wunderlist Exit im Fokus - App-Geschäftsmodelle, VC-Returns, Ökosystem und Microsoft

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Was bedeutet der Wunderkind –Exit?
Endlich ist es soweit. Berlin hat einen (weiteren) Exit und dann auch noch von einem der Berliner Vorzeigestart-ups Wunderlist. Dennoch waren die Reaktionen diverser Marktteilnehmer nicht nur positiv. Grund genug sich den Exit näher anzuschauen und ihn einzuordnen. Denn es gibt eine Reihe von Fragen: Warum jetzt? Wirklich ein guter Exit? Was bedeutet das für IT und SaaS-Firmen?

Exit 6Wunderkinder Wunderlist

Ein Punkt gleich vorneweg. Der Kauf durch Microsoft ist für das 6Wunderkinder Team und die Investoren ohne Zweifel ein großer Erfolg. Der Exit gibt dem Ökosystem in Berlin und Deutschland zusätzlich einen Schub und alleine deswegen ist er gut.

Folglich sind die in diesem Artikel dargelegten Punkte keine Kritik an 6Wunderkinder, sondern Reflektionen über Technologieentwicklung und (App-) Geschäftsmodelle, wie sie mit Wunderlist realisiert wurden.
Doch dazu zuerst die Fakten des Wunderlistkaufs, soweit sie in der Öffentlichkeit bekannt sind

Preis und Struktur des Wunderlist Deals

Wunderlist wurde von Microsoft für einen Kaufpreis von 100 bis 200 Mio. Dollar übernommen, was ca. 90 bis 180 Mio. Euro entspricht.
Über die genaue neue Eigentümerstruktur und die Anteile nach dem Exit ist in der Öffentlichkeit bis jetzt nichts bekannt. Es ist aber von einer 100% Übernahme auszugehen.

Auch gibt es keine öffentlichen Informationen zur Frage, ob der Kauf von Microsoft frische Mittel in die Kassen der Firma für die weitere Expansion spült, oder nur die Alteigentümer ausbezahlt wurden. Das ist weiter unten nochmal ein wichtiger Punkt.
Das sind in der Summe wenige Fakten und auch die genannte Bandbreite des Kaufpreises ist hoch. Das lässt darauf schließen, dass man doch nicht ganz so zufrieden war, sonst hätten vermutlich die Investoren etwas mehr Informationen Preis gegeben. Doch kann man mit den Zahlen und weiteren Infos einiges anfangen, wenn man etwas tiefer analysiert.

Einordnung des Exit für die Venture Capital Investoren und die Gründer

Zuerst die gute Nachricht: Lt. Frank Thelen, einem frühen Investor und Co-Creator, hatten die Gründer immer noch ca. 30%. Wenn wir also von ca. 150 Mio. USD (134 Mio. Euro) als Kaufpreis und einer 100% Übernahme wie oben ausgehen, haben die Gründer ordentlich verdient. Der positive Nebeneffekt für Berlin ist, dass vermutlich etwas von dem Geld als Angel Investment zurück fließt.

Etwas anders schaut es schon für die Investoren aus. Nachdem wenig über die Details der einzelnen Runden (siehe Techcrunch) bekannt ist, gehe ich von branchenüblichen Durchschnitten aus und greife auf die sehr anschauliche Rechnung von Gil Dibner zurück. Er schreibt: „This implies that while A-round investors made around 6.7x (adjusting for the assumed 25% dilution), B-rounds investors only made around 2.0x." Das wären im Ungefähren auch meine Schätzungen.
Währen das sicher nicht zu verachten ist, ist dieser Exit aber auch kein Riesenerfolg für die Investoren. Denn ein VC hat für die erforderlichen Renditeziele und gemessen an der Fondsgröße um Einfluss auf die Fundperformace zu haben, deutlich höhere Ansprüche. In der Summe nicht schlecht, aber auch kein Jubelexit und Home Run, der die Berlinstory weiter beflügelt.
Auch wird zu beobachten sein, ob dieser Exit einfach nur eine erfolgreiche Early Stage Investition war, oder Produkt eines guten Ökosystems, denn Erstes geht auch ohne Zweites. Licht auf diese Frage wirft zu einem gewissen Teil die Timing-Frage im nächsten Absatz.

Warum jetzt der Exit bei Startup Wunderlist?

Warum jetzt verkaufen, wenn 6Wunderkinder auf einem so guten Weg waren? Anscheinend hielten es die Investoren für angebracht, auszusteigen und wählten zudem nicht den Weg über ein IPO sondern eher eine Art strategischen Käufer.

Diese Entscheidung bestätigt unsere Einschätzung, dass der IPO-Markt – mit Ausnahme des Unicorn seiner Generation – Rocket Internet/Zalando, als Exitkanal wie auch in den USA größtenteils geschlossen bleibt und private Rounds und strategische Käufer das Geschehen bestimmen, mit allen Vor-und Nachteilen (Überbewertung).

Daraus alleine lassen sich wenige Rückschlüsse auf das deutsche Ökosystem ziehen, außer der Tatsache, dass es am Ende doch eine amerikanische Technologiefirma war, die zugekauft hat.
Bleibt das Timing. Natürlich könnte man jetzt über Blasen und Ende des aktuellen VC-Zykluses spekulieren, doch soll es hier um Technologie und Geschäftsmodelle und weniger um Bewertungen gehen, da letztere den Ausschlag für erstere geben.

Offen bleibt natürlich dann die Frage nach der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit von VCs wie Earlybird und Sequoia, mit einer solchen Stand Alone App und dem (Freemium) Geschäftsmodell weiter zu wachsen. Rühmt man sich doch sonst der eher langfristigen Begleitung der Investments über bis zu 7 Jahre die ein Start-up zum Exit/IPO im Durchschnitt benötigt.

War der Exit also eine Abstimmen mit den Füßen, woraus sich Schlussfolgerungen für
a) ähnliche Start-ups und
b) damit Ökosysteme die hauptsächlich ähnliche Modelle haben
ergeben?
Dazu zwei Überlegungen im folgenden Absatz:

Was sagt der Wunderlist – Exit über Apps und Fremiummodelle?

Eine Möglichkeit ist, dass die VCs die Wahrscheinlichkeit des Wachstums bzw. die Conversion im Bereich zahlender Kunden als zu niedrig einschätzten.
Das ist eine sehr signifikante Aussage, da so die These der Consumer to Business Adaption an eine Grenze gestoßen ist. Dies würde sich auch mit der These von Iceventure decken, die postuliert, dass die Zukunft der Innovation im Bereich Business to Business liegt.

An diese Überlegung gekoppelt oder ein Teil davon ist auch die Möglichkeit, dass das Wachstum mit diesem Geschäftsmodell für reine Kapitalinvestoren auf die angestrebten 100 Mio. User schlicht zu teuer, oder als Fond über mehrere Runden nicht finanzierbar ist.

Die Krux bei App/SaaS-Modellen und Wunderlist in Zahlen

Zu dieser Spekulation einige Zahlen: Stand heute hat Wunderlist nach eigenen Angaben ca. 13 Millionen Kunden und vermutlich 150 000 Unternehmenskunden.

Um die wichtigste Kennziffer des SaaS-ähnlichen Geschäftsmodells life time value minus customer acquisition costs (LTV – CAC) raus zu rechnen, nehme ich an, dass 65% der Bewertung (siehe Fußnote für diese Annahme) für Marketingkosten verwendet wurden. Das ergibt ein CAC-Minimum von 3,40 Euro gerechnet auf die Bewertung nach der Round B. Die um die Freemiumkunden bereinigten CAC liegen also je nach Konversionsrate (Conversion Rate) bei ca. 12 Euro bis 44 Euro. Die Spanne ergibt sich aus der Annahme des prozentualen Anteils der zahlenden Kunden (bitte die Fußnote beachten).

Das klingt angesichts von potentiellen 134,70 Euro LTV (Annahme 44,90 pro Jahr für Wunderlist Pro auf 3 Jahre) wenig. Wie unrealistisch dieser vermutete LTV dann aber ist, lässt sich aus dem Kaufpreis ableiten. Denn hier liegt der angenommene LTV nur bei ca. 11 Euro (in dem Post geht nur um große Einschätzungen, also wird einfach der Kaufpreis 134 Mio. Euro als NPV der zu erwarteten Einnahmen durch die vorhandene Userbase geteilt.

Das sind natürlich alles nur Rechenbeispiele mit vielen Unbekannten. Aber auch die sehr groben Zahlen zeigen wie schwierig Start-ups in diesem Segment mit einem solchen Geschäftsmodell sind, selbst wenn man 13+ Mio. User hat. Vielleicht lässt sich auch etwas über die Zahlungsbereitschaft europäischer Kunden für solche Produkte sagen, immer vorausgesetzt, dass Wunderlist die Userbase primär im Heimatland etablieren konnte. Davon gehe ich aber aus, da es sich mit Erfahrungen und dem natürlichen Expansionspfad deckt.

Es zeigt auch, wie z.B. in unserem SaaS-Geschäftsmodell Seminar thematisiert, dass SasS/App Lösungen (für mich ist das Modell ineinander greifend und SaaS der spannendere Anwendungsfall mit Apps als Teil davon vs. Einzelapps) mit Businessfokus besser von Anfang an mit der notwendigen Finanzierung gestartet werden und wie wichtig das Verständnis der Kennziffern und Relationen des Modells sind.

Alles in allem also gute Argumente, die die Entscheidung der Investoren für einen Exit gut erklären. Wenn dem aber so ist, knüpft sich aber berechtigte Frage an, was MS eigentlich mit der Akquisition will: Wachstum mit und für Wunderlist? Woraus die Frage folgt: Hat es in das Wachstum von Wunderlist mit frischem Geld bei dem Exit investiert?

Apps, Start-ups und Microsoft – ein Wiederspruch?

Dazu zuerst ein Blick zurück zu den CAC, die für MS bei 7 bzw. 15 Euro liegen. Interessant ist hier, dass bei 100 Mio. Kaufpreis die Kosten für potentielle Neukunden sogar unter den von Wunderlist liegen, wenn man (wie viele Kommentatoren) annimmt, das MS mehr an den Usern an sich, als an der App selbst interessiert ist.
Kein schlechter Kauf also für ein Unternehmen, dass dann nur dezente Ideen braucht, die Kundenbasis zu einer der vielen eignen, angebotenen Produkte upzugraden. Zumal make it vs. buy it wohl ausgeschieden ist. Auch gehe ich davon aus, dass die CAC pro Kunde in der Akquisition deutlich unter dem Durchschnitt von MS liegen. Doch das ist vielleicht nicht alles, denn der Verlust von Usern und dann Einstellung eines Produktes nach solchen Akquisitionen ist auch nicht ungewöhnlich. Das kann ja nicht im Sinne der Wunderlistgründer und Kunden sein.
Aber die reine Userakquisition ist bei weitem nicht die einzige Möglichkeit diesen Exit zu bewerten. Es gibt auch eine für Technologie und Innovation der nächsten Jahre bedeutsame Variante.

Zukunft von Apps und Plattform"krieg" – hat Wunderlist die richtige strategische Vision

Die andere Möglichkeit ist nämlich, dass die Aussage des Wunderkindergründers, mit Microsoft eine ideale Plattform gefunden zu haben stimmt und nicht nur die allgemeinen PR bei einem solchen Deal sind.

Für dieses Argument sind aber weitere Hintergrundinformationen und Überlegungen notwendig. Es ist vermutlich nicht zu schwer nachzuvollziehen, dass die Goldgräberzeiten bei Apps vorbei sind und der Wettbewerb extrem groß ist (treibt CAC).

Drei Gedanken zu dem Dynamiken im OS-Bereich und Techadaptionskanälen

Dazu kommt (These Nr. 1), dass grade bei einem Schwenk zu Geschäftskunden, der Fokus auf nur eine Funktionalität bei Software zu wenig ist. Irgendwann möchte der Nutzer nicht viele Apps öffnen, sondern Integration. Dieses beobachtbare Verhalten steigt mit der Betriebsgröße an. Das bringt Apps näher an komplexe Softwareentwicklung und SaaS.

Dann spielte bei Apps bisher die OS-Plattform direkt gekoppelt an eine Devicevorstellung (fürs Iphone/fürs Tablett) als UPS und für die Positionierung eine starke Rolle. Dies geht bereits deutlich zurück, wie die Verfügbarkeit von Wunderlist auf diversen OSs zeigt.
Ich denke (These Nr. 2) dies wird sich noch stärker ändern. Hier wird dann aber oft der analytische Fehler gemacht, die Hardwaredominanz in der Argument des UPS für Consumer Tech Adaptoren (die Aussage, dass alles nur noch auf Tablet oder Handys passiert), mit der Bedeutung der OS-Plattform (für alle Kundengruppen) gleichzusetzen.
Auch ist nicht zu vergessen, dass mit mehreren Versionen die Kosten deutlich steigen

Grade im Hinblick auf Firmen (These Nr. 3) ist bei Lösungen aber die OS-Plattform und der hardwarübergreifende Einsatz wichtiger, da er produktiver ist und on-und offline Szenarien auch berücksichtigt werden sollen. Im Zweifel dominiert dann in diesem Kontext die Softwareplattform über Hardwarefragen (Tabletts haben eine Anwendung, aber der Hype ist vorbei), was sich an der immer noch diskutierten Frage – BYOD zeigt. Gar nicht zu sprechen von dem Thema Datenkontrolle. Diese Probleme treffen in erster Linie die Softwareentwickler und ihre Investoren, die diese Fragen alle beantworten müssen. Das sind vermutlich – ob bewusst oder unbewusst – alles Punkte, die die Venture Capital Investoren mit Blick auf die Zukunft auch wahrnehmen.
Eine Möglichkeit, die Iceventure als wahrscheinlich betrachtet ist, dass in diesem dynamischen Umfeld mit den drei genannten Faktoren plötzlich Ökosysteme und ihre Abhängigkeiten wie Playstore oder ITunes-Store, ganz neu bewertet werden.

Damit öffnet sich eine Chance – für Microsoft, ganz gemäß der alten IT-Riesen Comebackregel des Silicon Valley, die besagt, dass Totgesagte manchmal länger leben.

Die verborgenen Shifts in der Technologielandschaft

Denn unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Microsoft alle Grundlagen dafür geschaffen. Windows 10 ist eine universelle Plattform über alle Geräteklassen hinweg. Wenn man den Gerüchten Glauben schenkt ist die Codebase für alle Geräte wirklich fast 100% identisch. Damit ist die Beschränkung auf Apps nur für Windows Phone umgangen und die Plattform für Entwickler – grade wenn diese sich in Zukunft auf Businesskunden fokussieren sehr attraktiv.
Hinzu kommt, dass der Einsatz bestimmter Software von MS ist inzwischen sogar plattformunabhängig, während Apple - ohne dass dies in vielen Diskussionen über die Dominanz von Apple bedacht wird – unbedingt an die Hardware gekoppelt ist.

In einer Welt, in der die nächste Welle der Tech-Innovation und Adaption nicht mehr über die „Consumer site" sondern über die „Business site" erfolgt, ist das vielleicht die wirklich aufregendste Erkenntnis an der Nachricht zum Wunderlistkauf.

Fazit: Party, Weckruf und Wolken für das dt. Startup Ökosystem

Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Ein großer Erfolg für die Gründer, ein kleiner für die Investoren – aber eine scharfes Nachdenken über die Implikationen für Geschäftsmodelle und Dynamiken ist auch angebracht.
Auch wenn es für das deutsche Ökosystem ein Grund zum Feiern ist, sollte dabei - wie von mir in letzter Zeit öfter betont – die Frage nach der Qualität und Abgrenzung von Innovation des eigenen Ökosystems gegen die Globalisierungswelle von Startups überall dringend angegangen werden.
Dies gilt umso mehr für die Berlinnachzügler unter den Start-up Städten. Doch die 6Wunderkinder dürfen feiern.

FN 1:Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Ein Artikel bei Techcrunch gibt 2013 ca. 50.000 an. Annahme ist also Faktor 3. Es wird auch davon ausgegangen, dass die Firmenkunden eher kleine Teams sind. Die um Freemium bereinigten CAC wurden mit 30% zahlenden Kunden berechnet.
FN 2:Das Benutzen der Bewertung ist natürlich stark diskutabel, da es nicht die wirklichen Kosten wiederspiegelt. Ich denke, es ist dennoch vertretbar. Einmal, weil es so einen Vergleich zum Kaufpreis von MS ermöglicht. Zum zweiten kann man argumentieren, dass man mit dem Teilen durch die Bewertung der Round eine Art Projektion aller Erträge und aller Kosten bekommt. Denn auch beim Ansetzen der Investitionssumme, ist die Frage offen, wie Einnahmen benutzt werden. Auch ist es realistisch anzunehmen, dass die CAC über Zeit steigen. Natürlich sind die CAC beim Teilen durch die realen Gesamtinvestitionen deutlich niedriger, was aber das Argument im Vergleich zum LTV, der ja Treiber der Valuation sein sollte nicht ändert. Benchmarks zu SaaS-CACs liegen zugrunde und werden im Software as Service Geschäftsmodell-Seminar behandelt.
FN 3:

Gelesen 7516 mal Letzte Änderung am Donnerstag, 11 Juni 2015 09:18
Dott. Arnbjörn Eggerz

A. Eggerz is entrepreneur and managing director of Iceventure.

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